Selbstausdrehende Eisschraube
Die lösbare oder selbstausdrehende Eisschraube ist vielleicht die Königsdisziplin bei der
Sicherungstechnik im Firn und Eis.
Muss man in einer steilen Firnflanke oder beim Eisklettern abseilen,
steht man vielleicht vor dem Problem, dass man den letzten
Sicherungspunkt zurücklassen muss, nachdem das Seil abgezogen ist.
Der letzte Sicherungspunkt ist oft eine Eisschraube,
die wegen der Verwendung von hochwertigen Metallen wie Titan oder
Chrom-Molybdän-Stahl nicht gerade billig sind.
Das Opfern einer Eisschraube ist aber in
jedem Fall einer unsicheren Abseiltechnik vorzuziehen. In erster Linie muss
also eine Eisschraube so gesetzt werden, dass sie beim Abseilen hält
und nicht notwendigerweise leicht selbstausdrehend montiert wird.
Diese Technik funktioniert nur, wenn man sie vorher ausreichend geübt
hat, und dieses Praxiswissen auch durch Wiederholung auffrischt.
Aber auch nach sorgsamer Übung gibt es keine 100% Garantie. Das ist
beim Risikomanagement auch nicht unüblich, in diesem Fall aber geht es
"nur" um einen (teuren) Eisschrauben,
und nicht um Menschenleben, daher hat ein Scheitern keine größere
Tragweite.
I) Requisiten:
1 Eisschraube (15 Windungen...)
Reepschnur/Prusikschlinge, relativ dünn (max. 5mm),
mindestens 180 - 200 cm Länge
II) Vorgangsweise:
1) Eisschraube setzen:
- Winkel beachten (nicht senkrecht zum Eis, sondern etwas höher)
- Die obersten paar Zentimeter schlechten Eises weghacken (*). Die Eisschraube nicht bis zum Anschlag der Lasche setzen. Bis zu 5 cm darf die Eisschraube
vorstehen, besser ist es jedoch, mehrere Eisschrauben passender Länge
dabei zu haben.
2) die Reepschnur an der Lasche der Eisschraube befestigen und fest zuziehen
3) Reepschnur spannen
4) gegen den Uhrzeigersinn (also gegen die Eindrehrichtung) wird die Reepschnur möglichst sauber von der Lasche weg Richtung Eis um die Eisschraube gewickelt. Die Anzahl der Umwicklungen muss
eisklarerweise mindestens der Anzahl der eingebohrten Windungen der Eisschraube entsprechen (2 bis 3 Umwicklungen mehr schaden nicht, solange auf der Eisschraube Platz ist).
Die Anzahl der Windungen auswendig wissen ist kein Fehler (nötigenfalls
einen Schummelzettel unter den Helm, Fingerzählen im Steileis ist oft sehr schwer...).
5) mit einem gesteckten Prusik wird die Reepschnur am Zugseil (!) befestigt, das andere (kürzere) Ende mit einem Spierenstich locker an der Reepschnur selbst befestigt, besser gesagt, gesichert.
Der Prusik muß unbedingt freigestellt werden (direkt beim Prusik und auch unterhalb
das Eis entfernen), sonst kommt es zu einen Aufliegen und Rutschen desselben.
Um alle Zweifel bei dieser heiklen Technik auszuschließen: das "Zugseil" ist jener Seilstrang, an dem nach dem Abseilvorgang die Eisschraube abgezogen wird.
6) Abschließend prüfen, ob alles logisch und konsequent aufgebaut ist und bei
Unklarheiten geistig den Vorgang rekonstruieren.
7) Abseilen:
Vorsicht !!! -
25% aller tödlichen Kletterunfälle wären vermeidbar, würde man nach der klassischen Abseilmethode vorgehen:
Kurzprusik als Selbstsicherung
Knoten ins Seilende
eventuell prüfen, ob Ablassen die bessere Alternative ist
(Beispiel: Terrain erkunden beim Standplatz suchen)
Hinweis:
Die Reepschnur kann durch die scharfen Eisschraubenwindungen beschädigt werden, also nicht mehr für die Selbstsicherung oder ähnlich
verantwortungsvolle Techniken verwenden, am besten man verwendet eine Reepschnur mit auffallender Farbe nur für diesen Zweck.
III) Übungsmöglichkeit:
In den Bergen selbst ist leider kaum Zeit für
das Üben von Berge- und Sicherungstechniken.
Eine Lösung dieses Problems ist - Das Üben zu Hause!
Das ist zugegebenermaßen etwas schwierig beim Üben mit Eisschrauben.
Aber: alles ist lösbar (nicht nur eine Eisschraube...):
Also: Bei einer höheren Blechdose den Deckel entfernen (Inhalt der
Katze füttern), mit Wasser füllen, und ins Eisfach stellen.
Nächsten Tag kann man damit wunderbar üben (die Dose kann man
beispielsweise mit einer kleinen Ratsche fixieren).
Daran abzuseilen empfehle ich jedoch nicht..., es geht ja hauptsächlich um
eine möglichst wirklichkeitsnahe Versuchsanordnung für den
Ausdrehvorgang.
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Eisqualität:
klares Eis (glasiges Eis) enthält normalerweise weniger Luft und hat deshalb eine höhere Dichte als graues, undurchsichtiges Eis (oft mit Luftblasen durchsetzt, daher geringere Dichte und Belastbarkeit).
Wo das Eis dicke solide Ströme (blau, grün oder klar) bilden kann, also in Routen mit sanften Neigungen (also
nicht senkrecht oder überhängend) findet man meist gutes Eis.
Hohles, verschichtetes, matschiges, milchiges (durch Luftblasen weißes) Eis ist von der Qualität eher schlechtes Eis.
Durch wegpickeln eines Eisstückes kann man die Eisqualität prüfen.
Was noch gefragt ist:
schon vor der Tour die Temperaturen
beobachten bzw. zu erfragen,
um die Eisqualität einschätzen zu können.
praktisches Denken: die Eisqualität beim
Aufstieg muss nicht notwendigerweise
der Eisqualität beim Rückzug entsprechen. Die Sonneneinstrahlung
kann einem
da ganz schöne Probleme bereiten.
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